Scheinselbständigkeit
Definition, Erklärung
Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn jemand nach Vertrag selbständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber Arbeiten wie in einem Arbeitsverhältnis leistet. Der Unterschied zu einem angestellten Arbeitnehmer liegt vor allem darin, dass keine Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer bezahlt werden und die Rechte wie Kündigungsschutz und Urlaubsanspruch entfallen. Der Unterschied zu einem Selbständigen ergeben sich durch das Wegfallen typischen unternehmerischen Handelns wie die Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Kundenakquise, Marketingmaßnahmen, freie Zeiteinteilung, Einsatz von Kapital und Mitarbeitern.
Von der Scheinselbständigkeit zu unterscheiden ist darüberhinaus der arbeitnehmerähnliche oder rentenversicherungspflichtige Selbständige. Dies trifft zu für Unternehmer, die keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten haben und nur für einen Auftraggeber arbeiten.
Scheinselbständigkeit ist nicht erlaubt, allerdings liegt die Beweislast in den Händen der Einzugsstellen oder Betriebsprüfer. Die Prüfung, ob es sich bei der Selbständigkeit nicht tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung handelt, erfolgt grundsätzlich auf den Einzelfall bezogen. Anlass für eine Prüfung können die Ergebnisse einer Betriebsprüfung sein oder durch Streitigkeiten zwischen dem Auftraggeber und dem angeblich Selbständigen. Kriterien, eine Scheinselbstständigkeit zu vermuten, sind:
- Der „Selbständige“ beschäftigt keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Der Einsatz von 400-Euro-Kräften wird nicht berücksichtigt. Die Mitarbeit von Familienangehörigen ist erlaubt
- Die Geschäftsbeziehung ist auf Dauer (mehr als 1 Jahr) ausgerichtet. Es wird im wesentlichen auf Weisung eines Auftraggebers gearbeitet. Mindestens 83,33 Prozent des Umsatzes werden durch diesen Auftrag getätigt. Nicht in diese Regel fallen Existenzgründer in den ersten 3 Jahren und projektbezogene Tätigkeiten, die Projektzeiten von mehr als 1 Jahr aufweisen
- Der Auftraggeber lässt vergleichbare Tätigkeiten durch Arbeitnehmer verrichten. Der „Selbständige“ ist in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert und nutzt Maschinen des Auftraggebers, um seine Arbeit ausführen zu können, z.B. der „selbständige Kraftfahrer“ ohne eigenes Fahrzeug
- Typische Merkmale unternehmerischen Handelns liegen nicht vor: eigenständige Entscheidungen über Preise, Kapital, Mitarbeiter, Maschinen oder auch eigene Geschäftsräume, Briefpapier, Visitenkarten
- Die Tätigkeit wurde vor der Selbständigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeführt
Tipps, Checkliste
- Amtliche Genehmigungen oder Zulassungen, sowie die Eintragung in die Handwerksrolle lassen auf eine selbständige Tätigkeit schließen. Die Gewerbeanmeldung oder die Eintragung in das Handelsregister ist dagegen nicht ausreichend
- Unerheblich ist, ob die Parteien einen Arbeitsvertrag oder einen Dienst- oder Werkvertrag schließen. Wichtig sind die tatsächlichen Umstände der Leistungserbringung
- Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wird ausgeschlossen, wenn der Auftragnehmer eine Gesellschaft, also GmbH (Ausnahme: Einmann-GmbH), KG oder OHG ist
- Bei Vorliegen einer offensichtlichen Scheinselbständigkeit ist der Betroffene in den Status eines Arbeitnehmers zu bringen, d.h. bei einer Krankenkasse anzumelden, die Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen und die Steuer abzuführen. Unter Umständen sind die Versicherungsbeiträge für die letzten 4 Jahre nachzuzahlen, auch die Anteile des Arbeitnehmers. Hier ist zu beachten, dass nur die letzten 3 Monate der Arbeitnehmer-Anteile vom Gehalt einbehalten werden dürfen, der Rest ist vom Arbeitgeber zu bezahlen. Steuerlich haften sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer für die Nachzahlungen. Aus gewerberechtlicher Sicht ist das Gewerbe abzumelden und die gesetzlichen Mitgliedschaften in der Industrie- und Handelskammer sowie in der Berufsgenossenschaft zu kündigen
- Bei Zweifeln kann ein Anfrageverfahren, eine Statusfeststellung über Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt werden
- Aufgrund der dargestellten Auswirkungen bei Statusfeststellung einer Scheinselbständigkeit sollten die Betroffenen versuchen, diesen Zustand zu vermeiden
- Die Überführung in ein Angestelltenverhältnis tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine unanfechtbare Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung vorliegt
Arbeitsrecht, Urteile
- Urteil B 12 RA 1/04 R
Bundessozialgericht: Sozialversicherungspflicht für GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer - Urteil Az.: L 1KR 124/05 vom 27.04.2006
Zeitungszusteller sind sozialversicherungspflichtig
Informationsquellen
- Checkliste Scheinselbstständigkeit
Herausgeber: Internetratgeber Recht
Literatur
- Arbeitnehmer oder Selbstständiger? Techniker Krankenkasse
erläutert Abgrenzungskriterien und Auswirkungen - Scheinselbstständigkeit/Arbeitnehmerähnliche Selbstständige
Herausgeber: IHK Berlin, Juli 2008